Interview mit Argyri Paraschaki, Geschäftsführerin des Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württemberg
Am 19. Februar 2021 findet um 16 Uhr die Online-Auftaktveranstaltung der vom Forum der Kulturen konzipierten Themenreihe „Mehrsprachigkeit“ unter dem Titel „Bedeutung und Förderung von Mehrsprachigkeit und das Engagement von Migrantenorganisationen“ statt. Auch Argyri Paraschaki wird sich mit einem Input an der Veranstaltung beteiligen. Vorab hat sie mit uns gesprochen.
Liebe Frau Paraschaki, der Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen Baden-Württemberg (LAKA) fordert in einer Petition den herkunftssprachlichen Unterricht an Regelschulen – warum?
Aus mehreren Gründen: Die gesetzliche Grundlage des herkunftssprachlichen Unterrichts stammt noch aus den 70er Jahren. Die damit einhergehende Überlegung, Kinder auf die Rückkehr in das Heimatland ihrer Eltern vorzubereiten, ist längst überholt und entspricht nicht mehr den gesellschaftlichen Realitäten. Die Bildungspläne für Sprachunterricht nach dem Konsulatsmodell stammen aus dem Herkunftsland, die Lehrkräfte werden dort ausgebildet und befristet entsandt. Sie sind weder auf die spezifische sprachliche, sozio- und bikulturelle Situation der Kinder mit Migrationshintergrund vorbereitet noch mit den Methoden, Inhalten und Grundlagen der deutschen Schule vertraut. Mangelnde Deutschkenntnisse der entsandten Lehrkräfte und fehlendes Wissen über die deutsche bzw. migrantische Kultur erschweren die Vermittlung und Kooperation zwischen dem herkunftssprachlichen Unterricht und den anderen Fächern des Regelunterrichts. All dies muss politisch, aber auch gesellschaftlich diskutiert werden. Deswegen haben wir eine Petition eingereicht.
Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach herkunftssprachlicher Unterricht an Regelschulen für all diejenigen, die nicht nur mit der deutschen Sprache aufwachsen?
Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund verfügen mit den Sprachkenntnissen in ihren Herkunftssprachen über zusätzliche und förderungswürdige Kompetenzen, die es anzuerkennen und zu fördern gilt. Die Pflege der Herkunftssprache festigt nicht nur die Sprachkompetenz, sondern beeinflusst auch den Erwerb der deutschen Sprache positiv. Je mehr Sprachen ich spreche, desto leichter fällt mir das Sprachenlernen. Daher muss es möglich sein intensiv Deutsch zu lernen und die eigene Herkunftssprache zu stärken. Es liegen ausreichend valide Forschungsergebnisse vor, die einen positiven Effekt der guten Kenntnis von Herkunftssprachen auf die Deutschkompetenz und auf die fachlichen Leistungen insgesamt aufzeigen und damit auch aus sprachwissenschaftlicher Perspektive die Forderung nach Aufnahme der Herkunftssprachen in den Fächerkanon stützen. Es ist allerdings nicht von einem Automatismus auszugehen. Dafür bedarf es eines schulisch-unterrichtlichen Gesamtkonzepts sprachlicher Bildung, bei dem die Bildungspläne des Herkunftssprachenunterrichts mit denen anderer Fächer didaktisch und methodisch eng verknüpft sind, so dass koordiniertes Sprachenlernen möglich wird. Das kann vom Herkunftssprachenunterricht nach dem Konsulatsmodell nicht geleistet werden.
Das Thema „Mehrsprachigkeit“ wird immer wieder diskutiert, immer wieder stößt es gegen Vorbehalte – vorrangig vonseiten derer, die „nur“ eine Sprache – hier vornehmlich die deutsche – muttersprachlich sprechen. Wie erklären Sie sich das? Wie lässt sich diesen Vorbehalten gegenwirken?
Das deutsche Schulsystem stellt das Lernen und Beherrschen der deutschen Sprache an oberster Stelle und ist ausschließlich auf einsprachig deutsch aufgewachsene Kinder eingestellt. Das muss ich erstmal anerkennen, bevor ich weitere Schritte gehen kann. Sprache ist auch ein ideologisches Thema. Kritiker befürchten, dass die deutsche Sprache auf lange Sicht abgeschafft wird, dass aber niemand ernsthaft fordert, Arabisch, Türkisch, Vietnamesisch oder Italienisch, anstatt Deutsch zu unterrichten, sondern dass sie lediglich zusätzlich angeboten werden sollen, wird bei solchen Kritiken gerne außer Acht gelassen. Und sie argumentieren auch mit dem nachlassenden Interesse an herkunftssprachlichem Unterricht. Dass viele Eltern aber die Versuche der Einflussnahme und Indoktrination durch ausländische Regierungen durch das Konsulatsmodell nicht hinnehmen wollen, wird kaum diskutiert. Dies zu unterbinden muss im eigenen Interesse des Landes und unserer Gesellschaft liegen. Wir brauchen endlich Einfluss auf die Inhalte des Unterrichts!
Und abschließend: Was bedeutet die Etablierung einer größeren Sprachenvielfalt für die Gesellschaft?
Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt sind in einem einheitlichen europäischen Bildungsraum nötig, um einander zu verstehen, zusammenzuhalten und um erfolgreich arbeiten und handeln zu können. Dem muss eine gute und zukunftsorientierte Bildungspolitik des Landes Baden-Württemberg Rechnung tragen. Diese Sicht entspricht auch der aktuellen Mehrsprachigkeitspolitik der Europäischen Union, die das Erlernen sämtlicher Sprachen, einschließlich der Regional-, Minderheiten-, Migrantensprachen und wichtigen Weltsprachen propagiert. Die Einfügung des herkunftssprachlichen Unterrichts in eine solche Politik der Mehrsprachigkeit ist ausgesprochen zukunftsträchtig. Sie verbindet politisch nützliche Ziele, die zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa beitragen sollen, mit einer neuen Sprachpädagogik, die auf sprachenübergreife Fähigkeiten und lebenslanges Lernen setzt.
Das Interview führten Myriam Schäfer und Dženita Kovačević für die Februarausgabe der Interkultur Stuttgart