Eine erfolgreiche Ausbildung junger Zuwanderer droht wegen unzureichender Sprachkenntnisse zu scheitern

Eine Stellungnahme aus der Sicht des LAKA Baden-Württemberg (Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen)

Vom 16.-20.April 2018 findet bundesweit die Woche der beruflichen Bildung unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Steinmeier und seiner Frau, Elke Büdenbender, statt. Kultusministerkonferenz, Deutscher Handwerkertag, Bundesverband der Arbeitgeber, DGB und Deutscher Industrie- und Handelstag richten die Woche aus, die das Ausbildungswesen in Deutschland in seiner Bedeutung zeigen und feiern soll. Am 19. April kommt der Bundespräsident mit seiner Frau auf Einladung der Kultusministerin Eisenmann nach Baden-Württemberg und besucht berufliche Schulen in Ludwigsburg und Bietigheim-Bissingen.

Auf der Veranstaltung „Schule in der Zuwanderungsgesellschaft“ der Stadt Karlsruhe am 8. März 2018 berichtete die Bildungskoordinatorin für Neuzugewanderte, Johanna Hopfengärtner: Nach einer detaillierten Befragung von Schulleitern der zwölf öffentlichen Karlsruher Berufsschulen sei derzeit für 405 zugewanderte Auszubildende das Erreichen des Ausbildungsziels wegen unzureichender Sprachkenntnisse in Frage gestellt – 176 von ihnen leben in Karlsruhe, alle anderen kommen aus der Region. Es ist davon auszugehen, dass es in anderen Stadt- und Landkreisen ähnlich aussieht.

Wie kommt es zu dieser Bildungskatastrophe? Warum sind die zugewanderten Schüler den Anforderungen der Berufsschule sprachlich nicht gewachsen?

Neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler lernen zunächst in Vorbereitungsklassen ein Jahr lang Deutsch. Das hier für die meisten zu erreichende Sprachniveau reicht bei weitem nicht aus, um dem Unterricht in den Regelklassen bis zu einem Hauptschulabschluss zu folgen. Doch statt hier mit mehr qualifiziertem Deutschunterricht nachzubessern, hat sich die Situation im laufenden Schuljahr verschlechtert: Von der Grundschule über die Sekundarstufe bis zur beruflichen Bildung wurden die Stundentafeln in den Vorbereitungsklassen erheblich gekürzt. In den Vorbereitungsklassen ab Klassenstufe 5 wurden die bisher 25 Unterrichtsstunden Deutsch auf 16 gekürzt. Schüler ohne Deutschkenntnisse, die nicht mehr der allgemeinen Schulpflicht, aber noch der Berufsschulpflicht unterliegen, besuchen so genannte VABO-Klassen (Klassen zur Vorbereitung auf Arbeit/Beruf für Schüler ohne Deutschkenntnisse); hier wurde schon ein Jahr zuvor auf 16 Stunden gekürzt! Das Spardiktat hat bisher Vorrang vor dem Bildungsnotstand…

Zu diesen quantitativen Einschränkungen des möglichen Lernerfolgs kommen spezifische qualitative Erschwernisse:

– Die Lehrer in Vorbereitungsklassen haben bis auf wenige Ausnahmen keine Fremdsprachendidaktik studiert. Auch jeder Fachlehrer an der Berufsschule muss über die Grundlagen solcher Didaktik verfügen, sonst wird er seinen zugewanderten Azubis die Inhalte nicht vermitteln können.
– Die Motivation der Lehrkräfte in Vorbereitungsklassenwird dadurch untergraben, dass sie häufig nur angestellt und zum Schuljahresende wieder entlassen werden.
– Die Schülerschaft in den Vorbereitungsklassen ist mehrsprachig und äußerst heterogen. Der Syrer aus der Gymnasialklasse sitzt neben der Polin aus dem Berufskolleg, der Afghane mit wenigen Schuljahren neben der Italienerin mit schlechtem Abschlusszeugnis der achten Klasse, die Rumänin mit guter Mittelschulbildung neben der Kamerunerin, die zuhause mit einer afrikanischen Sprache aufwuchs und Unterricht in französischer Sprache bekommen hatte.
– Manche Schüler kennen das lateinische Alphabet noch nicht, weil sie z.B. arabisch geschrieben haben, aber für Alphabetisierung sind keine gesonderten Deputatsstunden vorgesehen, ebensowenig zum Nachholen der Fremdsprache Englisch(die oft mitgebrachte Mehrsprachigkeit wird in den weiter führenden Bildungsgängen nicht versetzungsrelevant zertifiziert).

Wenn die Schülerinnen und Schüler nun nach einem Jahr Vorbereitungsklasse in eine Regelklasse z. B. der Berufsschule wechseln, sind sie bei weitem noch nicht so fit, dass sie den sprachlichen Anforderungen in Schule und Betrieb gerecht werden können. Sie müssten gezielt weiter gefördert werden; doch dies geschieht fast nirgends, weil die Lehrerstunden dafür nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Die durch die Kürzung der Stundentafeln in den Vorbereitungsklassen frei gewordenen Stunden können diese Lücke bei weitem nicht füllen. Die von der Berufsberatung finanzierten Programme „Ausbildungsbegleitende Hilfen“ (abH) und „Assistierte Ausbildung“ (AsA) leisten keine für diese Situation angemessene Hilfe, weil ihr Ziel der fachliche Nachhilfeunterricht ist. Und das Budget kommunaler Projekte (in Karlsruhe z. B. das zur schulergänzenden Sprachförderung an beruflichen Schulen eingerichtete Projekt SCHEFF) reicht bisher nur für eine begrenzte Teilnehmerzahl.

Dazu kommen weitere Hürden, v. a. für junge Erwachsene: Nicht nur, dass sie aus Altersgründen sehr schnell aus allen schulbezogenen Fördermaßnahmen herausfallen. Wer eine Ausbildungsduldung hat, also für die Dauer der Ausbildung nicht abgeschoben wird, hat derzeit keinen Anspruch auf Transferleistungen. In der Regel reicht aber die Ausbildungsvergütung nicht zur Deckung der Lebenshaltungskosten.

Vor diesem Hintergrund fordert der LAKA insbesondere:

– Die Kürzung der Pflichtdeputatsstunden in Vorbereitungsklassen ist zurückzunehmen.
– Die Deputate zur individuellen differenzierten Sprachförderung sind bedarfsgerechtzu erhöhen (einschließlich solche für Alphabetisierung sowie zum Nachholen von Englisch).
– Die mitgebrachten Sprachkenntnisse sind versetzungsrelevant zu zertifizieren und die Sprachen der Herkunftsländer an staatlichen Schulen zu fördern,wie z. B. in Rheinland-Pfalz.
– Die Grundlagen der Fremdsprachendidaktik müssen zwingender Bestandteil aller Lehramtsstudiengänge sein.
– Die derzeit z.B. für den Unterricht in Vorbereitungsklassen angestellten Lehrer müssen dauerhafte Verträge erhalten, anstatt zum Schuljahresende entlassen zu werden(um zum nächsten Schuljahr vielleicht wieder angestellt zu werden).
– Auf kommunaler wie auf Landes-Ebene müssen umgehend finanzielle Regelungen für junge Erwachsene in Ausbildung gefunden werden (z. B. Gewährung von Jugendhilfe bis zum 27. Lebensjahr), solange auf Bundesebene noch keine diesbezüglichen Gesetzesänderungen verabschiedet wurden (auf der letzten Integrationsministerkonferenz wurde ein entsprechender Antrag von Minister Lucha (BW) angenommen).