Stuttgart, 29. November 2023
Der erste Landesfachtag des Landesverbands der kommunalen Migrantenvertretungen Baden- Württemberg (LAKA) am 25.11.2023 in Mannheim fand unter dem Motto „#wir:engagiert in Baden- Württemberg“ statt. Ziel der Veranstaltung war es, das vielfältige Engagement der Migrations- und Integrations(bei)räte sichtbar zu machen, Möglichkeiten politischer Mitbestimmung und Partizipation zu diskutieren und zur Vernetzung der Integrationsakteure im Land beizutragen.
Mit ermutigenden und unterstützenden Grußworten von Seiten der Stadt Mannheim und durch Minister Lucha, Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration, wird der Landesfachtag eröffnet. Minister Lucha kritisiert die aktuelle Besetzung politischer Ämter im Land: „Wir brauchen die höhere Sichtbarkeit von Menschen mit Migrationsgeschichte, vor allem auch in der Kommunalpolitik.“ Kommunen bilden die Basis der Demokratie und „Demokratie braucht uns alle“, so Lucha. Er appelliert an die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, sich einzubringen, für politische Ämter zu kandidieren und die Veranstaltung zu nutzen, um die eigene Arbeit sichtbar zu machen. Es gelte, sich für gleichberechtigte Teilhabe, für einen starken Zusammenhalt und für letztendlich eine starke Demokratie einzusetzen. Abschließend sichert er die zukünftige Rückendeckung zu: „Gerne wird unser Ministerium Sie weiterhin unterstützen.“
Im Vortrag „Warum institutionelle Gestaltung und Handlungsfähigkeit lokaler Migrationsbeiräte wichtig sind“ beleuchtet Frau Dr. Schiller der Erasmus University Rotterdam am Beispiel der Kommunalen Ausländervertretung Frankfurt und des Migrationsbeirats Mannheim die Partizipationsmöglichkeiten und Kooperationsmöglichkeiten von migrantischen Gremien mit Akteuren aus Politik und Verwaltung. Sie zeigt auf, dass stille Ausschlussmechanismen vielerorts eine weitreichende Handlungsfähigkeit verhindern. „Es ist bedeutsam, dass Migrationsbeiräte von Politik und Verwaltung respektiert und ernst genommen werden“, so Dr. Schiller. Oftmals sei außerdem die Unabhängigkeit der Gremien eingeschränkt, was die Durchsetzung eigener Interessen behindere und Vertrauensverhältnissen abträglich sein könne. Gleichzeitig gebe es große Unterschiede zwischen den Kommunen. Der Umfang politischer Rechte, die Verantwortlichkeit in Kommunalpolitik und – verwaltung sowie die Möglichkeiten zur Eigeninitiative der Beiräte divergieren stark. Frau Dr. Schiller appelliert, Migrationsbeiräte nicht nur symbolisch, sondern als Instrumente des Staats zu begreifen.
„Als wichtige Instrumente deliberativer Demokratie können Migrationsbeiräte Konflikte als potenziell produktiven Aspekt zur Aushandlung ihrer Rolle nutzen“, meint Dr. Schiller. „Mitglieder der Gremien benötigen einen langen Atem. Es gilt, über Beziehungsaufbau und Kooperationen für mehr politische Rechte zu kämpfen.“
In der Podiumsdiskussion im Anschluss an den Vortrag debattieren Frau Dr. Schiller, Herr Pavkovic, Leiter Abteilung Integrationspolitik der Stadt Stuttgart, Frau Alibabanezhad Salem, Vorsitzende des Migrationsbeirat Mannheim und stellvertretende LAKA-Vorsitzende, unter der Moderation von Frau Renk-Mulder, Beauftragte für Flüchtlinge und Integration Bad Rappenau, zum Thema. Herr Pavkovic unterstreicht die Bedeutsamkeit des Internationalen Ausschuss in Stuttgart um Veränderungen zu kritischen Themen voranzubringen: „Aus der Verwaltung heraus ist das oftmals schwieriger. Der Internationale Ausschuss kann sich für diese Themen einsetzen und weniger lauten Akteuren eine Stimme geben“, so Pavkovic. Er berichtet außerdem vom Projekt „Haus der Kulturen“, das die Stadt in Auftrag gegeben hat. Der Internationale Ausschuss unterstützt beratend bei der Konzeptentwicklung.
„Damit tragen wir gezielt dazu bei, der Vielfalt in der Gesellschaft einen Raum und eine Plattform zu geben“, meint der Integrationsbeauftragte.
Das Potenzial von Migrationsbeiräten bleibe häufig verkannt. Frau Dr. Schiller stellt dar, dass das Engagement in Migrantenvertretungen häufig der Startpunkt für politische Karrieren sei. „Über kommunale Migrantenvertretungen werden Menschen politisch sozialisiert und Kontakte in der Kommunalpolitik ermöglichen Zugang zu den Parteien“, meint die Wissenschaftlerin. Problematisch sei allerdings der geringe Bekanntheitsgrad der Beiräte.
Dem fügt Frau Alibabanezhad Salem zustimmend hinzu: „Durch das vorwiegend ehrenamtliche Engagement der Mitglieder fehlt es schlichtweg an Zeit, um in schnellen Schritten voranzukommen“. In Mannheim verfügt der Beirat neben einer Geschäftsstelle über ein Rede-, Anhörungs- und Antragsrecht zu Angelegenheiten aus den Bereichen Integration. „Das Antragsrecht ist nicht nur für die politische Teilhabe wichtig, sondern motiviert unsere Mitglieder für ihre anhaltende Arbeit“, stellt die Vorsitzende des Mannheimer Beirats und stellvertretende LAKA-Vorsitzende fest. Leider ist das nicht in allen Kommunen so. Generell sei für die Arbeit in den Gremien viel Ausdauer und eine gewisse Frustrationstoleranz notwendig.
Um die Arbeit der kommunalen Migrantenvertretungen zu stärken und zu professionalisieren, ist man sich nach Diskussionen am Fachtag einig: Die Strukturen kommunaler Migrantenvertretungen und der LAKA als Dachverband müssen institutionalisiert werden. Das Partizipations- und Integrationsgesetz stellt Kommunen frei, einen Integrationsrat oder -ausschuss einzurichten (§ § 12, 13 PartIntG BW). Dies muss sich ändern. Deshalb fordert der LAKA die Institutionalisierung von kommunalen Migrantenvertretungen über die Aufnahme in die Gemeindeordnung in Städten ab 15.000 Einwohnenden. Ein Integrationsrat oder -ausschuss fördert kommunalpolitisches Engagement und unterstützt die Vertretung aller Einwohnenden in der Gemeinde. Eine Institutionalisierung trägt zur Vereinheitlichung der kommunalen Migrantenvertretungen bei, um für mehr Transparenz, Eindeutigkeit und eine Verstärkung der Landesstruktur zu sorgen.
Der Prozess sei aber nicht einseitig, betont Frau Paraschaki-Schauer, Geschäftsführerin des LAKA. Die Beiräte müssen erkennen, dass sie selbst verantwortlich sind, die politische Mitbestimmung voranzubringen. „Politik wird nicht für sondern von Menschen gemacht“, meint Frau Paraschaki- Schauer. „Demokratie lebt von Stimmen, von Beteiligung. Menschen müssen begreifen, dass sie ihre Interessen selbst vertreten können“. Fehlendem Know-How zum politischen Engagement kommt der LAKA mit einer Reihe von Schulungsangeboten entgegen und auch in den Kommunen laufen Projekte, um die Zugänglichkeit zur Kommunalpolitik zu erhöhen.
Diese und weitere werden als Best-Practice-Beispiele beim Landesfachtag vorgestellt. In Form von Workshops berichten kommunale Integrationsbeiräte zu ausgewählten Projekten. Um Menschen mit Migrationshintergrund für politisches Engagement zu befähigen, läuft in Heidelberg erfolgreich die Pilotphase einer Politakademie, in Pforzheim führt der Internationale Beirat eine Politik-Werkstatt an Schulen durch. Der Migrationsbeirat Mannheim begegnet dem fehlenden Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige mit einer Symbolischen OB-Wahl. Deren Ablauf und Bedeutsamkeit werden im Workshop präsentiert. In Rottenburg am Neckar wurde ein Schulprojekte gegen Rassismus etabliert und der Integrationsrat in Tübingen berichtet über die genehmigte externe, unabhängige Ombudsstelle.