Fachtag der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration BW am 26. Oktober 2023.
Am 26. Oktober 2023 fand der digitale Fachtag „Rassismus und Gesundheit“ von der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration statt. Als Vertretungsorgan der Einwohnenden mit Migrationsgeschichte in Baden-Württemberg nahm der LAKA an der Veranstaltung teil. Der Fachtag hatte zum Ziel, rassistische Strukturen in der Gesellschaft und im Gesundheitswesen aufzuzeigen, Auswirkungen von Rassismus auf die Gesundheit darzustellen und für eine diskriminierungssensible Sprache zu werben. Thematisch knüpfte der Fachtag an die Arbeit des LAKA an: Diskriminierungsmuster erkennen, strukturelle Veränderung adressieren und mehr Teilhabe für Menschen mit Migrationsgeschichte ermöglichen.
Den Auftakt der Veranstaltung bildete der Vortrag von Frau Dr. Amma Yeboah, der Zusammenhänge von Rassismus, rassistischer Diskriminierung und (psychischer) Gesundheit aufzeigte. Sensibel und klar lud die Fachärztin ein, strukturelle Diskriminierung und Gewalt zu erkennen und zu benennen. Die Konzeptualisierung als „Wheel of Privilege & Power“ (in Anlehnung an Sylvia Duckworth) beschreibt verschiedene Stufen von Privilegierung und Macht bzw. Marginalisierung und Benachteiligung auf Grundlage von gesellschaftlichen Zuweisungen durch (identitäre) Merkmale (vgl. Charta der Vielfalt e.V., 2022). Mit struktureller Diskriminierung geht ein erhöhtes Risiko für psychische Belastungen einher. Sprache und Schulbildung gelten als Kategorien, die über das Ausmaß an struktureller Teilhabe und Zugänglichkeit entscheiden. Deutsch als Erstsprache vs. Deutsch als Zweitsprache stehen entsprechend im strukturellen Machtgefälle. Darüber hinaus bestimmt der Bürgerschaftsstatus (engl.: citizenship) als Kategorie, welche formalen Rechte und Meldepflichten eine Einwohnerin oder Einwohner besitzt. Darf sich ein Mensch in Form des Wahlrechts an politischen Entscheidungen beteiligen? Außerdem hängt das Zugehörigkeitsgefühl vom Bürgerschaftsstatus ab und bedingt damit die soziale Integration.
Die Forderung nach dem Kommunalwahlrecht für Alle mit der europäischen Initiative „Unsere Städte, unsere Stimmen“ steht im direkten Bezug hierzu. Als primäres Anliegen des LAKA ist die Wahlberechtigung für alle Einwohnenden Baden-Württembergs Schwerpunktthema der LAKA-Vollversammlung am 25. November 2023. Der Zusammenhang von struktureller Ungleichbehandlung und (psychischer) Gesundheit zeigt die Relevanz gleichberechtigter Partizipationsmöglichkeiten.
Daran anknüpfend stellte Herr Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan in seinem Impulsvortrag Forschungsergebnisse einer Pilotstudie zu Ungerechtigkeits- und Diskriminierungserfahrungen ehemaliger Gastarbeitenden, deren Kinder und Enkelkinder vor. Er fokussierte den Zusammenhang von rassistischer Diskriminierung und psychischer Gesundheit. Es zeigt sich, dass auch indirekte Rassismuserfahrungen, beispielsweise von den eigenen Eltern oder in der Peergroup, zu schlechteren Gesundheitsergebnissen führen können. Diskriminierungserfahrungen können beispielsweise beim Arzt stattfinden, wenn die Eltern als Migrantinnen und Migranten der 1. oder 2. Generation auf die Übersetzungshilfe ihrer Kinder angewiesen sind, die durch das Aufwachsen in Deutschland über ausgeprägtere Deutschkenntnisse verfügen. Dies kann sich, einerseits aufgrund der Verantwortung für die Eltern, und andererseits über indirekte Rassismuserfahrungen, negativ auf das Wohlbefinden der Kinder auswirken.
Auch hier schließt eine zentrale Forderung des LAKA an: Ein flächendeckendes Netzwerk von Gesundheitslotsinnen und Gesundheitslotsen für mehr gesundheitliche Chancengleichheit. Menschen mit eigener Migrationsgeschichte durchlaufen ein Schulungsprogramm, um zielgruppenspezifische Angebotsübersichten zur Gesundheitsförderung zur erstellen und zur Vernetzung beizutragen. So werden Strukturen geschaffen, die auf der Expertise von Menschen mit Migrationsgeschichte beruhen und den Zugang zum deutschen Gesundheitssystem erleichtern. Eine individuelle Verantwortung wird aufgelöst und institutionell verankert.
Silke Marzluff von der regionalen Koordinierungsstelle Gesundheitliche Prävention für Menschen mit Flucht- und Zuwanderungserfahrung im Refugio Freiburg schloss im Praxisimpuls nach der Mittagspause an ebendiese Thematik an. Im Gesundheitslotsenprojekt werden zugewanderte Menschen geschult. Für diese Schulungen stehen kommunale Mittel zur Verfügung, womit nicht nur die Verwaltung, sondern auch der Gemeinderat ein Zeichen setzt. Frau Marzluff betonte, dass viele Menschen mit Migrationsgeschichte sehr unsicher im Umgang mit dem komplexen Gesundheitssystem seien und sich in regelmäßigen Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen allein fühlen. Über das Projekt zur Gesundheitsförderung wird deutlich, dass entsprechende Gesundheitslotsinnen und Gesundheitslotsen Diskriminierungserfahrungen teilen und wissen, um was es geht. Menschen beziehen viel auf sich selbst, ohne zu erkennen oder zu wissen, welche gesellschaftlichen Strukturen wirken.
Es bleibt, dass Menschen nicht allein über ihre Herkunft, Sprache oder Aussehen determiniert sind, aber gleichermaßen spezifische Realitäten mitbringen, die bei Gesundheitsbelangen berücksichtigt werden müssen. Der LAKA setzt sich für ebensolche bedarfsgerechte Strukturen ein und fordert mehr Aufklärung und aktives Engagement für die gleichberechtigte Teilhabe und Mitbestimmung von Migrantinnen und Migranten in Baden-Württemberg.
Der LAKA dankt der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration BW für die Einladung und Organisation der Veranstaltung sowie allen Referentinnen und Referenten, auch den hier nicht genannten, für einen interessanten, anregenden Fachtag.